Spezialgebiete

Wirbelsäulenchirurgie

Definition und Einteilung

Die Wirbelsäule besteht meistens aus sieben Halswirbeln, zwölf Brustwirbeln und fünf Lendenwirbeln. Zwischen den einzelnen Wirbelkörpern befinden sich die Bandscheiben. Die Bandscheiben wiederum bestehen aus einem faserhaltigem Ring, dem sogenannten Anulus fibrosus, welcher einen flüssigkeitshaltigen Gallertkern, dem sogenannten Nucleus pulposus umgibt. Im laufendem Altersprozeß verliert der Gallertkern an Flüssigkeit und der Faserring, welcher den Gallertkern umgibt wird rissig. Durch Abnutzungserscheinungen, körperliche Belastung und Fehlhaltung der Wirbelsäule droht der Galertkern in den Wirbelkanal vorzufallen und man spricht vom Bandscheibenvorfall. Bandscheibenvorfälle sind die häufigste Ursache von Kompressionssyndromen an Nervenwurzeln. Der Altersgipfel der Bandscheibenvorfälle liegt im vierten Lebensjahrzehnt. Lumbale Bandscheibenvorfälle (Bandscheibenvorfälle der Lendenwirbelsäule) sind in etwa zehnmal häufiger als zervikale Bandscheibenvorfälle (Bandscheibenvorfälle der Halswirbelsäule); Bandscheibenvorfälle der thorakalen Wirbelsäule (Brustwirbelsäule) sind sehr selten. Die meisten Bandscheibenvorfälle der Lendenwirbelsäule finden sich mit ungefähr 95% in den Höhen zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper sowie dem 5. Lendenwirbelkörper und Kreuzbein, etwa 4% finden sich in der Höhe zwischen den Lendenwirbelkörpern 3 und 4, die restlichen 1% verteilen sich auf die Höhen der übrigen oberen Lendenwirbelsäule. Bandscheibenvorfälle der Halswirbelsäule sind mit ungefähr 60% am häufigsten in der Höhe zwischen 6. und 7. Halswirbelkörper gefolgt von 25% in der Höhe zwischen 5. und 6. Halswirbelkörper. Bandscheibenvorfälle der Brustwirbelsäule sind mit weniger als 1 % aller Bandscheibenvorfälle selten. Eine weitere Einteilung ist die Richtung in welcher der Bandscheibenvorfall austritt. Man unterscheidet medio-laterale und laterale, bei welchen das Bandscheibengewebe zur Seite austritt und mediale Bandscheibenvorfälle, hierbei kommt es zu einem Austritt von Bandscheibengewebe in die Mitte des Wirbelsäulenkanals.

Ätiologie und Pathogenese

Die Bandscheiben haben eine Pufferwirkung und dienen in der Wirbelsäule sozusagen als Stoßdämpfer. Aufgebaut sind sie in der Mitte aus einem Gallertkern, dem Nucleus pulposus, der aus hydrophilen Glykoproteinen besteht und außen aus dem Anulus fibrosus, bestehend aus kollagenem Gewebe. Mit zunehmenden Alter kommt es zu einer Abnahme des Wassergehaltes im Gallertkern und somit zu einem Verlust an Elastizität. Durch die dadurch entstehende Mehrbelastung kommt es zu Rissen im Anulus fibrosus. Es kann nun zu einer Herniation (Herausfallen) des Nucleus pulposus mit Vorwölbung (Protrusio) oder gar Vorfall (Prolaps) kommen. Durch die Degeneration der Bandscheiben kommt es zu einer Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes. Als Reaktion diese Prozesses kommt es an den angrenzenden Grund – und Deckplatten oft zu einer Sklerosierung (Verknöcherung) des Knorpels, man spricht hierbei von Osteochondrose.
Osteophyten (knöcherne Auswüchse), die auch als Folge eines degenerativen Prozesses entstehen und an den Wirbelkörperrändern und den Gelenkfortsätzen entstehen, können ebenso das Rückenmark oder die Nervenwurzeln komprimieren.


Klinik

Ätiologie und Pathogenese

Durch medio-laterale und laterale Bandscheibenvorfälle im Bereich der HWS kommt es zur Kompression von Nervenwurzeln mit Radiculopathie. Die Patienten klagen über Nackenschmerzen, die in den Arm ausstrahlen. Die Schmerzen projizieren sich dabei in das entsprechende von der Nervenwurzel sensibel versorgte Hautareal (Dermatom). Man bezeichnet solche Beschwerden mit dermatombezogener Schmerzausstrahlung in den Arm als Zervikobrachialgien. Häufig berichten die Patienten über Taubheitsgefühle im entsprechenden Dermatom sowie eine Schwäche im betroffenen Arm. Dabei kommt es entsprechend der betroffenen Nervenwurzel zu Lähmungen der Kennmuskeln sowie zu einer Abschwächung oder Ausfall des Kennreflexes. Als Beispiel sind die Symptome bei einer Kompression der 7. Zervikalwurzel Schmerzen und Taubheitsgefühle im Dermatom C7 (Mittelfinger, medialer Zeigefinger), eine Schwäche des Musculus triceps brachii, der Hand – und Fingerstrecke sowie eine Abschwächung oder Ausfall des Tricepssehnenreflex.

Durch Kompression des Rückenmarks infolge einer Einengung des Zervikalen Spinalkanals kann es zu einer Schädigung des Halsrückenmarks, der sogenannten Zervikalen Myelopathie, kommen. Die Ursache für eine Einengung des Spinalkanals sind degenerative Prozesse durch spondylotische Veränderungen, osteophytäre Randbauten sowie Bandscheibenprotrusionen – und vorfälle. Oft ist bei Patienten mit einer Zervikalen Myelopathie der Spinalkanal bereits von Geburt an eng. Die Patienten berichten oft über Parästhesien, Dysästhesien (Kribbeln, sensible Missempfindungen) an den Händen und Fingern, weiterhin können Schwächegefühl und Feinmotorikstörung der oberen Extremität hinzukommen. An der unteren Extremität kommt es als Zeichen der Schädigung der langen Bahnen zu dem Bild der spastischen Paraparese mit Tonuserhöhung und gesteigerten Muskeleigenreflexen und postiven Babinskireflex. Die Patienten berichten über ein Schwächegefühl in den Beinen mit Gangstörungen und es kommt zu dem Bild der spastisch-ataktischen Gangstörung oder bei Störung der Tiefensensibilität zu einer Gangunsicherheit, die sich besonders beim Gehen mit geschlossenen Augen oder im Dunkeln demaskiert. Weiterhin werden Sensibilitätsstörungen und Parästhesien in den Beinen angegeben. Störungen der Blasen – und Mastdarmfunktion treten in einem späterem Stadium hinzu.

Lumbaler Bandscheibenvorfall

Lumbale Bandscheibenvorfälle manifestieren sich anfangs häufig als Lumbalgie oder Lumbago, im Volksmund auch als “Hexenschuß” bekannt. Durch Kompressionswirkung auf das gut sensibel innervierte hintere Längsband (Ligamentum longitudinale posterius) kommt es zu Schmerzen die lokal um den Bereich der Lendenwirbelsäule begrenzt sind. Durch lumbale Nervenwurzelkompressionen kommt es zu Lumboischialgien und die Schmerzen strahlen in das von der betroffenen Nervenwurzel versorgte Hautareal (Dermatom) aus. Es kommt zu Sensibilitätsstörungen mit Hypalgesie und Hypästhesie (Abschwächung des Schmerz – und Temperaturempfindens sowie der Sensibilität) im entsprechenden Dermatom. Weiterhin können Lähmungen in den von der Nervenwurzel versorgten Dermatomen auftreten und es kommt zu einer Reflexabschwächung oder gar einem Reflexausfall des jeweiligen Kennreflexes. Bei einem klasischem S1-Syndrom würde ein Patient über einseitige Schmerzen und Sensibilitätsstörungen in der Gesäßregion , den hinteren Ober – und Unterschenkel bis in die Ferse und den seitlichen Fußrand reichend klagen. Weiterhin würde eine Kraftminderung in der Fußsenkung bestehen und der Achillessehnenreflex wäre erloschen. Ein solches S1-Syndrom würde z.B. durch einen medio-lateralen Bandscheibenvorfall in der Höhe LWK5/SWK1 (zwischen 5 Lendenwirbelkörper und Kreuzbein) entstehen. Ein in dieser Höhe vorhandener lateraler, extra-foraminaler Bandscheibenvorfall würde eher eine Kompression der eine Etage höher abgehenden Nervenwurzel L5 bewirken. Ein großer Bandscheibenvorfall kann aber auch zwei Nervernwurzeln komprimieren und ein intraforaminal bis extraformainal gelegener Bandscheibenvorfall in der oben genannten Höhe würde eine L5- und S1-Symptomatik hervorrufen. Ein medianer Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule führt zu einer Kompression der Cauda equina und es kann zum sogenannten Kaudasydrom kommen. Kennzeichnend für ein Kaudasyndrom ist eine Blasen – und Mastdarmlähmung und eine Reithosenanästesie (Sensibilitätsausfall in den inneren Bereichen des Gesäßes und des Genitalbereichs). Bei einem Kaudasyndrom ist die sofortige Operatonsindikation gegeben.

Bandscheibenvorfälle sind oft Mitverursacher der lumbalen Spinalkanalstenose (Enge des Wirbelkanals der Lendenwirbelsäule). Meist wirken hier mehrere Faktoren gemeinsam. Durch spondylotische Randwulstbildungen an den Gelenkflächen, Wirbelkörpern und Wirbelbögen in Zusammenhang mit Bandscheibenprotrusionen und – vorfällen kommt es zu einer Einengung des Spinalkanals mit dem Syndrom des engen Spinalkanals. Bei Belastung kommt es durch Einengung mehrerer Spinalnervenwurzeln zu einer Störung der Blutversorgung und die Patienten klagen über Schmerzen und Paresthesien (Kribbeln, Missempfindungen) in den Beinen, die sich keinem Dermatom zuordnen lassen. Die Gehstrecke der Patienten ist eingeschränkt man spricht deshalb von einer Claudicatio intermittens spinalis. In Ruhe bestehen meist keine Beschwerden. Eine Hyperextension (Überstreckung) der Wirbelsäule kann die Beschwerden hervorrufen, da durch die Lordorsierung die Nervenwurzeln verstärkt komprimiert werden, beim Vorwärtsbeugen verschwinden die Beschwerden.

Syndrom Parese Reflexverlust Sensibilitätsstörung
C5 M.. deltoideus, M.biceps Bicepssehnenreflex Schulter und lateraler Oberarm
C6 M.biceps, M. brachioradialis Bicepssehnenreflex, Radiusperiostreflex radialer Unterarm und Digiti 1, 2
C7 M. triceps, M. pronator teres Tricepssehnenreflex Mittelfinger und ulnarer Zeigefinger
C8 Mm. interossei Ringfinger und Kleinfinger
L3 M. quadriceps femoris
M. iliopsoas
Patellarsehnenreflex ventraler Oberschenkel und Knieinnenseite
L4 M. quadriceps femoris
M. tibialis anterior
Patellarsehnenreflex lateraler Oberschenkel, Knie und medialer Unterschenkel
L5 M. extensor hallucics longus, Mm. extensor digitorum brevis Tibialisperiostreflex lateraler Ober- und Unterschenkel, Knieaußenseite, Fußrücken, Großzehe
S1 Mm. peronaei, M. triceps surae Achillessehnenreflex dorsaler Ober- und Unterschenkel, Fußaußenrand, Kleinzehe, Fußsohle

Therapie

Liegt eine Nervenwurzelreizung ohne Paresen (Lähmungen) vor, sollte immer zuerst eine konservative Therapie versucht werden. Erst bei Lähmungserscheinungen und bei resistenten Schmerzen sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. Als Notfallindikation für eine Operation gilt die Cauda-Symptomatik sowie plötzlich aufgetretene Lähmungen. Die konservative Therapie umfasst krankengymnastische Übungen, Massagen und Schmerztherapie. Bewegungsbäder, Wärmeapplikation und Fangopackungen können zusätzlich muskuläre Verspannungen lösen, die wesentlich zur Schmerzverstärkung beitragen.

Operation an der zervikalen Wirbelsäule:

Die heute gängige Operation eines zervikalen Bandscheibenvorfalles wurde 1958 erstmals von Cloward durchgeführt. Hierbei wird über einen ventralen Zugang die Vorderseite der Halswirbelsäule dargestellt. Die betroffene Bandscheibe wird mit dem Vorfall vollständig entfernt und anschließend erfolgt die Fusion der beiden Halswirbelkörper.

Hier gibt es verschiedene Fusionsmethoden: Zum einen kann man bei nachgewiesener Instabilität mit einem autologen Beckenkammspaninterponat die Wirbelkörper fusionieren, es auch möglich die Fusion mit Hilfe von Knochenzement (Palacos oder Sulfix) oder eines Titandübels (sog. Cages) durchzuführen.

Die Methode nach Fryckholm wird bei intraforaminalen (sehr lateralen) Bandscheibenvorfällen angewandt. Es erfolgt hierbei zur Entlastung einer komprimierten Nervenwurzel das Auffräsen des Foramen intervertebrale (Foraminotomie) über einen dorsolateralen Zugang und die anschließende Entnahme des Bandscheibenvorfalls. Eine Fusion der zervikalen Bewegungssegmente ist bei dieser OP-Methode nicht notwendig, da der Hauptanteil der Bandscheibe intakt ist. Seit 2005 bietet die neurochirurgische Klinik bei ganz bestimmten Indikationen auch die Implantation von Bandscheibenprothesen, die eine funktionelle Bewegung der beteiligten Wirbelsegmente ermöglichen, an.

Eine Fusion von dorsal dient der Stabilisierung der Halswirbelsäule nach Subluxationen wie sie z.B. im Rahmen eines Flexions – oder Extensionstraumas entstehen kann. Hierbei werden von dorsal die entsprechenden Wirbelbögen dargestellt und anschließend mit Titanschrauben versorgt. Auf diese Weise kann auch eine Versteifung und damit Stabilisierung des kranio-zervikalen Überganges erreicht werden.



Operation an der Thorakalen Wirbelsäule

Zur Operation eines thorakalen Bandscheibenvorfalles stehen mehrere Möglichkeiten mit verschiedenen Zugangswegen zur Verfügung.

Eine Entlastung des Rückenmarks kann durch eine Laminektomie über einen dorsalen Zugang durchgeführt werden. Dieser Zugangsweg wird auch vor allem zur Entfernung spinaler Tumoren gewählt.
Bei lateralen Bandscheibenvorfällen kann ein transpedikulärer Zugang durchgeführt werden. Hierbei wird durch einen posterolateralen Zugang eine Laminektomie durchgeführt, anschließend erfolgt die Entfernung des Pedikels und der Vorfall wird ausgeräumt.

Die Costotransversektomie kann zur Entfernung von lateralen Bandscheibenvorfällen aber auch zur Biopsie von Wirbelkörpertumoren durchgeführt werden. Der Zugang erfolgt hier paramedian am Rand der paraspinalen Muskulatur (ungefähr 6-7 cm von der Medianen). Nachdem der Processus spinosus und ein Teil der dorsalen Rippe unter Schonung von Pleura und der intercostalen Nerven-Gefäßstränge reseziert sind, kann das Foramen intervertebrale dargestellt werden. Um die Dura besser darzustellen können müssen Teile des Pedikels reseziert werden.

Indikationen für einen thransthorakalen Zugang sind außer dem Bandscheibenvorfall Berstungsfrakturen der Brustwirbelsäule. Für mediale Bandscheibenvorfälle der Brustwirbelsäule ist der thransthorakale Zugang die Operation mit den besten Ergebnissen. Für Zugänge im Bereich der oberen und mittleren Brustwirbelsäule wird, außer der Bandscheibenvorfall ist linksseitig, eine rechtsseitige Thorakotomie bevorzugt durchgeführt. Im unteren Bereich der Brustwirbelsäule wird wegen der besseren Mobilisierbarkeit der Aorta im Vergleich zur Vena Cava inferior eine linksseitige Thorakotomie bevorzugt. Die Vorteile der transthorakalen Operation sind eine sehr gute ventrale Darstellung und ein geringes Risiko, die Dura oder gar das Myelon zu verletzen. Nachteil ist das Risiko von pulmonalen Komplikationen.

Wächst ein Tumor im Bereich der thorakalen Wirbelsäule, so ist das Rückenmark schnell betroffen und muss entlastet werden. Prinzipiell kommen dabei dieselben Zugänge wie bei den Banscheibenoperationen in Frage, doch muss der Tumor und oft der Wirbelkörper mit entfernt werden. Anschließend müssen die benachbarten Segmente mit versteift werden , damit keine Instabilität auftritt.

Operation Eines Lumbalen Bandscheibenvorfalles

Die Lagerung bei der Operation eines lumbalen Bandscheibenvorfalles erfolgt in der Knie – Hocke – Stellung oder in Bauchlage. Hierbei kommt es zu einer bestmöglichen Aufspreizung der Zwischenwirbelbogenräume. Der Zugang erfolgt über einen mikrochirurgischen Zugang (ca. 3cm Länge) in der Höhe des betroffenen Segmentes. Nachdem die Muskulatur zur Seite abpräpariert wird, erfolgt die eine Erweiterung des knöchernen Fensters und Durchschneidung des Ligamentum flavum. Danach können Duraschlauch, Spinalwurzel und der Bandscheibenvorfall dargestellt werden. Ist der Zugang geschaffen, kann mit Hilfe von Faßzangen der Vorfall entfernt und anschließend das weiche prolabierte Bandscheibengewebe ausgeräumt werden.

Lumbale Stenosen

Stenosen, also Verengungen des Wirbelkanals sind die häufigsten degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und eine der häufigsten neurochirurgischen spinalen Operationen überhaupt. Hier muss der Nervenkanal von hypertrophierten Bändern und arthrotischen kleinen Wirbelgelenken entlastet werden. Die Operation findet nach derselben Methode wie die Bandscheibenoperation statt, das Bandscheibenfach muß dabei nicht immer eröffnet werden. Zeigt sich in der präoperativen Diagnostik eine Instabilität durch überlastete Gelenke, so müssen die zu dekomprimierenden Segmente mit Schrauben und Stab versteift werden.