Forschung Neurofibromatose/Schwannomatosen
In enger Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen, Institutionen und Zentren sind wir bestrebt diese Krankheitsbilder näher zu erforschen und damit nicht nur mehr über die Entstehung der Erkrankungen zu verstehen, sondern auch Therapiemöglichkeiten sowie Diagnostiken stetig neu zu evaluieren und zu verbessern.
Unsere Arbeitsgruppe Neurofibromatose beschäftigt sich mit folgenden Fragestellungen bei allen Altersgruppen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene):
Elementar für unser Forschungsvorhaben ist die gute Kooperation und Unterstützung mit und durch unsere Patienten, wofür wir uns herzlich bedanken.
Wenn Sie unser Forschungsvorhaben (oder gezielte Projekte) ferner gerne unterstützen möchten würden wir uns über eine finanzielle Unterstützung sehr freuen!
Universitätsklinikum Tübingen
Baden-Württembergische Bank Stuttgart
IBAN: DE41 6005 0101 7477 5037 93
BIC: SOLADEST600
Verwendungszweck: Zentrum für Neurofibromatosen-Spenden, D.30.30644
Sehr gerne können Sie unsere Studienkoordinatorin (Frau Dr. Gugel, isabel.gugel@med.uni-tuebingen.de) auch direkt auf laufende Projekte ansprechen und kontaktieren.
Prof. Dr. med. M. Tatagiba (Ärztlicher Direktor des Departments für Neurochirurgie und Neurotechnologie)
Prof. Dr. med. M. U. Schuhmann (Sprecher des Zentrums für Neurofibromatosen, ZNF)
Dr. med I. Gugel (Studienkoordinatorin des ZNF, Stellvertretende Sprecherin des Zentrums für Neurofibromatosen, ZNF, Leiterin der Neurofibromatose-Ambulanz)
Dr. med. J. Zipfel
Frau Neha Jain
Wissenschaftliche Mitarbeiter:
cand. med. Tim Malte Mülhofer (Doktorand)
cand. med. Fadi Loutfi (Doktorand)
cand. med. Marcel Fridmansky (Doktorand)
cand. med. Isabell Schrade (Doktorandin)
Abgeschlossene Projekte finden sie unter: pubmed.
Wissenschaftliche Projekte
Neurofibromatose Typ 1 (NF1)
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) bei NF1
Die Neurofibromatose Typ 1 (NF1) kann neben Neurofibromen auch mit plexiformen Neurofibromen (PNF) assoziiert sein. Dieses sind in der Regel gutartige teils diffuse, teils solide Nerventumore, die sich entlang der peripheren Nerven, außer den Hirnnerven, ausbilden können. Das klinische Spektrum reicht von asymptomatischen bis hin zu schwerwiegend symptomatischen Nervenausfällen wie Lähmungen, Gefühlsstörungen und Schmerzen aber auch mutilierende und entstellende Manifestationen können auftreten. Für diese Tumore besteht ein ca. 3-10% Risiko der malignen Entartung (maligne periphere Nervenscheidentumore, MPNST). Insbesondere Patienten mit einem Mikrodeletionssyndrom tragen hierfür ein bekanntes und erhöhtes Risiko verglichen zu Patienten, die diese Mutation nicht aufweisen. Oft jedoch können Vorstufen dieser Tumore, sogenannte ANNUBP (atypical neurofibromatous neoplasm of uncertain biological potential), frühzeitig detektiert werden. Hierbei spielt die Positronen-Emissions-Tomographie (PET, Abbildung 1) eine sehr wichtige Rolle um eine beginnende Malignisierung über eine gesteigerte Stoffwechselaktivität zu detektieren. Aufgrund des genetischen Hintergrundes der NF1 sowie bei oft sehr jungem Patientenalter wird die Magnetresonanz (MR)-PET Diagnostik ohne ionisierende Strahlenexposition der Computertomographie (CT) mit hoher Strahlenexposition bevorzugt. Bei der PET-Diagnostik spielt zur Detektion der kritischen Läsionen der standardized uptake value (SUV) eine wichtige Rolle. Eine Kostenübernahme muss zunächst aufwändig beantragt werden. Um die Wichtigkeit dieser Untersuchungsmethode weiter hervorzuheben, die Zugänglichkeit für Patienten zu verbessern und die Diagnostik weiterzuentwickeln arbeiten wir sehr engmaschig klinisch und wissenschaftlich mit der hiesigen Abteilung für Radiologie zusammen (Reinert et al. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2019 „Comprehensive anatomical and functional imaging in patients with type I neurofibromatosis using simultaneous FDG-PET/MRI”).
In dieser Studie wurden bei 28 NF1 Patienten, die eine FDG-PET/MRT-Diagnostik innerhalb des Screenings erhielten 166 Tumore als Zielläsionen ausgewählt. Hierbei wiesen maligne periphere Nervenscheidentumore (MPNST) eine signifikant höhere Stoffwechselaktivität auf als nicht maligne plexiforme Neurofibrome (PNF) (3,84 ± 3,98 [SUVmean MPNSTs] vs. 1,85 ± 1,03 [SUVmean PNF], P < .01). Zur Unterscheidung zwischen noch gutartigen PNF und MPNSTs definierte man einen SUVmax ≥ 2,78 als signifikanten Cut-off-Wert. Somit ist die simultane FDG-PET/MRI ein umfassendes und sehr sensitives bildgebendes Verfahren zur Überwachung der PNF bei NF1-Patienten. Die kombinierte Erfassung sowohl morphologischer Informationen in der MRT als auch metabolischer Informationen in der PET ermöglicht die Korrelation von Läsionswachstumsraten mit der metabolischen Aktivität und die Festlegung signifikanter SUV-Schwellenwerte zur Erkennung einer malignen Transformation, was von höchster klinischer Bedeutung ist.
Coronare (A und B) und Axiale (C und D) MRT Schichtbildgebung in nativer MRT (A) und in PET (B) Technik nach Gabe der radioaktiv markierten Zuckerlösung (FDG).
Bei dem Patienten stellt sich eine hohe Tumorlast entlang aller Nervenstraßen dar. In nativer MRT Technik (A) kann hier keine eindeutige Aussage über eine mögliche beginnende Entartung eines Neurofibrombefundes getroffen werden. In PET Technik (B) zeigt sich hier (roter Pfeil) eindeutig eine erhöhte Stoffwechselaktivität eines Befundes im Bereich der Achselhöhle links (spiegelverkehrte Sichtweise bei der Interpretation der Bildgebungen).
In einer anderen Schichtung zeigt sich beim selbigen Patienten zwei weitere stoffwechselaktive Tumore (D, roter Kreis) im Bereich und angrenzend an beide Lungenspitzen.
Systemische Therapiestudien bei NF1 Patienten
- Klinische Phase Studie (Phase I/II) SPRINKLE und KOSELUGOTM mit der Firma Astrazeneca bei Kindern und Erwachsenen mit NF1-
Die Entstehung von plexiformen Neurofibromen (PNF) bei NF1 Patienten findet meist sehr früh im Kindes- und Jugendalter statt, aber auch Erwachsene sind regelhaft davon betroffen. In der Regel können diese Tumore zunächst beobachtet werden, es sei denn, sie liegen an einer funktionell relevanten Stelle, lösen Beschwerden aus oder sind sehr stoffwechselaktiv und haben somit den Verdacht auf eine beginnende oder bereits bestehende maligne Entartung. Bisher ist die Operation die Therapie der Wahl für solche Tumore. Nicht alle Tumore sind jedoch dafür zugänglich oder so ausgedehnt, dass operative Verfahren äußerst mutilierend sein können bzw. nicht den Tumor vollständig entfernen können. Für diese Fälle stellen MEK I/II-Inhibitoren (MAP Kinase = MEK) eine Alternative dar. Hierbei wurden in den USA bereits gute und erfolgsversprechende Studien durchgeführt und veröffentlicht (Gross und Widemann et al. N Engl J Med. 2020). Speziell der MEKI/II-Inhibitor Selumetinib (AZD6244 Hydrogen Sulfat) war bisher in Deutschland noch nicht zugelassen und soll nun in einer deutschlandweiten klinischen Phase Studie (Phase I/II) bei Kindern und Erwachsenen mit Neurofibromatose Typ 1 und inoperablen plexiformen Neurofibromen untersucht werden. Hierbei wird sich unser Zentrum für Neurofibromatosen sowohl bei der Kinderstudie (SPRINKLE) als auch der Erwachsenenstudie (KOSELUGOTM) partizipieren. Die Rekrutierung findet voraussichtlich ab Herbst 2021 statt. Nähere Informationen (Einschlusskriterien) werden diesbezüglich folgen.
Ansprechpartner (PIs) hierfür sind:
Prof. Dr. med. Martin U. Schuhmann* (SPRINKLE, KOSELUGO),
Dr. med. Isabel Gugel (KOSELUGO)
Department für Neurochirurgie und Neurotechnologie und Zentrum für Neurofibromatosen
*Sektion Pädiatrische Neurochirurgie
Universitätsklinikum Tübingen
PD. Dr. med. Ines Brecht (SPRINKLE)
Pädiatrische Onkologie und Hämatologie
Universitätsklinikum Tübingen
Neurofibromatose Typ 1 (NF1), Neurofibromatose Typ 2 (NF2) und SMARCB1-/LZTR1-bedingte Schwannomatose (vormals Schwannomatose, SWNT)
Hochauflösende Neurosonographie im perioperativen Management bei NF 1/NF2 und Schwannomatosepatienten
Die Kombination aus einer Positronenemissionstomographie und Magnetresonanztomographie (PET-MRT-Diagnostik) wird im Falle einer entsprechenden Symptomatik, bei stark klinisch oder radiologisch progredienten Läsionen, bei bekannt kritischen Läsionen oder entsprechender Risikogenetik indiziert. Primär kann vorab eine kostengünstigere, zeitsparende, hochauflösende neurosonographische Untersuchung der Nervenstraßen erfolgen um einen Eindruck der Gesamttumorlast entlang der Extremitäten und Halsregion zu erhalten. Hierbei können kritische Läsionen bereits detektiert werden, die anschließend per Goldstandard MRT-Diagnostik weiter abgeklärt werden können. Zusammen mit der hiesigen Klinik für Neurologie und der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Alexander Grimm sind wir bestrebt die Neurosonographie sowohl innerhalb des Screenings als auch intraoperativ weiterzuentwickeln und die Anwendung speziell bei NF und -Schwannomatose Patienten näher zu untersuchen sowie zu optimieren.
Operative Therapie der peripheren Nerventumore bei NF1/NF2 und Schwannomatosepatienten
Periphere Nerventumore können für den Patienten stark beeinträchtigende Beschwerden mit sich bringen, an kritischer (funktionell relevanter) Stelle lokalisiert sein oder ein stark progredientes Wachstum aufzeigen. Insbesondere bei NF1 und NF2 Patienten spielt die operative Therapie eine große Rolle und ist in einem versierten Zentrum auch mit geringen Risiken verbunden. Dies konnten wir bereits in einer Studie belegen (Zipfel et al. Childs Nerv Syst. 2020, «Surgical management of peripheral nerve sheath tumours in children, with special consideration of neurofibromatosis”).
Weitere Studien diesbezüglich bei allen Altersgruppen und allen Entitäten (Neurofibrome, Schwannome, Hybridtumore) sowie Krankheitsbildern (NF1, NF2 und Schwannomatose) sind in Bearbeitung.
NF2-bedingte Schwannomatose, vormals Neurofibromatose Typ 2
Analyse des Wachstumsverhalten von NF2 assoziierten Tumoren per softwarebasierter Volumenkalkulation
Die Magnetresonanztomographie (MRT) spielt nicht nur in der Diagnosestellung der NF2-Erkrankung eine wichtige Rolle, sondern auch in den langfristigen Kontrollen. Insbesondere zur Überwachung der beidseitigen Vestibularisschwannome (VS) sind regelhafte kranielle MRT-Kontrollen unverzichtbar. Standardmäßig in unserem Zentrum werden daraus die Tumorvolumina mit einer Software (Abbildung 2) kalkuliert. Diese Prozedere ist sehr aufwändig und zeitkonsumierend, aber sehr sensitiv und unverzichtbar um auf Basis dessen auch Therapieindikationen abzuleiten und zu überwachen (z. B. Bevacizumab).
Wir konnten innerhalb unserer Arbeitsgruppe ausführliche Analysen der Vestibularisschwannome bereits abschließen und publizieren (Gugel et al. J Neurosurg Pediatr. 2019; Gugel et al. Cancers (Basel) 2019. Hierfür steht eine große Datenbank mit über 3000 Datensätzen zur Verfügung. Zudem werden diese auf weitere NF2 assoziierte Tumore ausgeweitet.Analyse des Hörvermögens im Langzeitverlauf unter Betrachtung von Einflussfaktoren (insbesondere Operation, Bevacizumab, Bestrahlung) bei NF2 assoziierten Vestibularisschwannomen
Aufgrund der beidseitigen Manifestation der Vestibularisschwannome bei NF2 Patienten besteht ein hohes Risiko des beidseitigen Hörverlustes über die Lebenszeit. Dieser kann schwerwiegende soziale Folgen mit sich bringen. Aufgrund dessen ist der frühzeitige und langfristige Hörerhalt ein wichtiges Ziel im Management der Erkrankung. Unverzichtbar ist die frühzeitige Diagnosestellung, das frühzeitige und regelhafte Hörscreening mittels Ton- und Sprachaudiometrie sowie die Durchführung von akustisch evozierten Potenzialen und natürlich die MRT-Diagnostik zur Kontrolle des Tumorwachstums. Die operative Therapie spielt eine sehr wichtige und große Rolle, da diese Tumore zum aktuellen Zeitpunkt nicht heilbar sind. Ein restriktiveres chirurgisches Vorgehen im Sinne einer operativen Dekompression des inneren Gehörgangs mit oder ohne angeschlossener und elektrophysiologisch gestützter Teilresektion zeigt sehr gute Ergebnisse nicht nur im Hörerhalt (Gugel et al. Cancers (Basel) 2019), sondern auch in der Reduktion der Wachstumsgeschwindigkeit (Gugel et al. J Neurosurg Pediatr. 2019). Bei zeitgleich geringem perioperativem Risiko spielt diese Therapieform eine äußerst wichtige Rolle vor allem bei jungen NF2 Patienten.
Alternative Therapieformen wie Bevacizumab oder Brigatinib sollten aufgrund der notwendigen Langzeitapplikation und dem ungewissen Langzeitnebenwirkungsprofils erst im späten Jugendalter oder Erwachsenenalter ihre Anwendung finden. Insbesondere große, schnell wachsende Tumore sind durch diese Therapieform gut kontrolliert. Die Bestrahlung findet nur selten in ausgewählten Fällen Ihre Anwendung aufgrund des hohen Risikos des strahleninduzierten Hörverlustes und (trotz Seltenheit) der in Einzelfällen möglichen malignen Entartung aufgrund der genetischen Komponente.
Restaurative Maßnahmen zum Hörerhalt bei NF2 Patienten
Neben akuten Therapieformen zur Prävention des Hörverlustes stehen zudem restaurative invasive Hörmaßnahmen (Cochlea Implantat, Hirnstammimplantat) aber auch nicht invasive (Cross-Device Hörgerät etc.) zur Verfügung. Hierbei arbeiten wir sehr eng sowohl klinisch als auch wissenschaftlich mit dem hiesigen Hörzentrum der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde unter Leitung von Prof. Dr. Hubert Löwenheim und Frau Dr. Anke Tropitzsch zusammen. Wir sind hierbei nicht nur bestrebt die aktuellen Therapieformen zu analysieren, sondern auch weiterzuentwickeln und die Patientenversorgung somit zu verbessern.
Molekulargenetische Analyse der Tumorgenese von NF2 assoziierten Tumoren
Die NF2 wird durch eine Inaktivierung des NF2 Gens auf dem Chromosom 22q hervorgerufen. Dadurch kann dessen Proteinprodukt Merlin (Moesin-Ezrin-Radixin-like Protein) seine Funktion als Tumorsuppressorgen nicht mehr wahrnehmen und Abläufe wie das Zellwachstum, der Zelltod etc. werden dadurch gestört. Das routinemäßige Screening auf das Vorliegen einer NF2 Mutation im Blut findet in der klinischen Routine seine Anwendung. Bei ca. 30% der Fälle kann diese jedoch nicht im Blut, dafür aber in der Tumor-DNA in 2 unabhängigen Tumoren nachgewiesen werden (sogenannte Mosaike). Auch das gänzliche nicht Vorhandensein einer NF2 Mutation bei klinisch erfüllten Kriterien schließt die Erkrankung nicht aus und führt zu der Annahme, dass weitere genetische Mechanismen vorliegen müssen, die die Entstehung der Erkrankung mitbedingen. Die Interaktionen rund um das NF2 Gen sind bisher gut erforscht aber komplex, was weiterhin eine Heilung nicht ermöglicht. Zudem nehmen Therapieformen (z. B. Operation, Bevacizumab, Bestrahlung) möglicherweise Einfluss auf das Verhalten der Tumore. Auch dieser Aspekt muss berücksichtigt und weiter erforscht werden um beispielsweise gezielte Therapieformen für ein wiederholtes oder resistentes Wachstum zu entwickeln.
Hierbei greift unsere Arbeitsgruppe vor Ort auf außerordentlich interdisziplinäre Expertise zurück und ist in der Arbeitsgruppe der interdisziplinären Neuroonkologie im Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (Leitung Frau Prof. Dr. Dr. Ghazaleh Tabatabai, Nachwuchswissenschaftlerin Frau Dr. Isabel Gugel) angeschlossen.
In der dortigen Arbeitsgruppe konnten wir beispielweise bei strahlenresistenten NF2 assoziierten Vestibularisschwannomen eine Dysregulation der Transkripte PTEN und mTOR nachweisen (Gugel et al. Cancers (Basel) 2020, “Contribution of mTOR and PTEN to Radioresistance in Sporadic and NF2-Associated Vestibular Schwannomas: A Microarray and Pathway Analysis.”), die theoretisch pharmakologisch angehbar sind. Weitere Studien sind bereits in Bearbeitung.