Welche Therapiemöglichkeiten stehen Ihnen bei uns zu Verfügung?
Einen Grund zur Chemotherapie ergibt sich bei Erwachsenen sehr selten, in der Regel nur bei nicht operablen Tumoren, in der Regel sogenannten plexiformen Neurofibrome an heikler Stelle, die eine starke Wachstumstendenz zeigen und den Patienten bedrohen. Hier ist in allerjüngster Zeit mit den sogenannten MEK-Inhibitoren eine effektive Therapie möglich geworden, die aber noch nicht von den Krankenkassen regelhaft bezahlt wird und im Rahmen von Einzelfallanträgen genehmigt werden muss. Diese werden von uns an die zuständige Krankenkasse gestellt.
Mit einer Zulassung des 1. Medikamentes kann ggf. Ende 2021 gerechnet werden. Im Rahmen von Behandlungsstudien wird in Zukunft auch in Tübingen die Möglichkeit der Behandlung mit diesem Mittel bestehen.
Bei Kindern existiert diese Situation mit schwerer früher Manifestation in kritischen Arealen wie Schädelbasis, Hals oder Brustraum häufiger als bei Erwachsenen.
Eine Klinische Phase Studie (Phase I/II) zur Anwendung des MEK I/II-Inhibitors Selumetinib (AZD6244 Hydrogen Sulfat) bei Kindern (SPRINKLE, KOSELUGOTM) und Erwachsenen (KOMET, KOSELUGOTM) mit Neurofibromatose Typ 1 und inoperablen plexiformen Neurofibromen (SPRINKLE, KOSELUGOTM) wurde Herbst/Winter 2021 begonnen und ist aktuell in der Rekrutierungsphase.
Bei Kindern kann eine Chemotherapie bei symptomatischen (im Falle einer Verschlechterung der Sehkraft) NF1 assoziierten Optikusgliomen notwendig sein. Diese wird dann primär vom heimatnahen Onkologen oder pädiatrischen Onkologen verabreicht.
Die Effekte der Therapie werden in genau terminierten Zeitabständen mittels MRT-/CT-Bildgebung (inkl. PET-Diagnostik) kontrolliert.
Eine Strahlentherapie sollte bei NF1 Patienten aufgrund eines erhöhten Risikos für Nebenwirkungen und Entstehung von bösartigen Tumoren nicht durchgeführt werden.
Wir bieten Ihnen Hilfestellung und Unterstützung bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises durch unsere fachmännische Stellungnahme und ziehen gegebenenfalls Untersuchungsverfahren (Neuropsychologische Testung, Elektrophysiologie, ect.) zur dessen Unterstützung hinzu.
Welche Therapiemöglichkeiten stehen Ihnen bei uns zu Verfügung?
Im Zentrum der Erkrankung stehen bei fast allen Patienten früher oder später die beidseitigen Vestibularisschwannome (Akustikusneurinome). Sie sind das absolute Diagnosemerkmal der Erkrankung. Die Vestibularisschwannome gehen von den sog. „Schwannzellen“ des „Gleichgewichtsnervs“ aus. Es handelt sich um gutartige Tumore (WHO Grad I), die meist im inneren Gehörgang ihren Ausgang nehmen und in Richtung des Hirnstammes wachsen. Selbstverständlich gibt es hier starke Unterschiede im Größen- und Wachstumsverhalten und einige Varianten sind aus der folgenden Grafik zu entnehmen. Die Größeneinteilung wird anhand der Hannover-Klassifikation vorgenommen von klein (T1) bis sehr groß (T4).
Problematisch sind die Lokalisation und das Wachstumsverhalten des Tumors und dadurch werden die Beschwerden letztendlich ausgelöst. Man spricht von „Kompressions-Symptomen“, die durch Druck des Tumors auf die dort umliegenden Strukturen (Hirnnerven, Hirnstamm, Liquorsystem, etc.) ausgelöst werden. Innerhalb des knöchernen inneren Gehörgangs verläuft der Gleichgewichtsnerv (Nervus vestibularis), von dem der Tumor ausgeht, mit dem Gehör- (Nervus cochlearis) und Gesichtsnerv (Nervus facialis). Innerhalb des knöchernen Kanals entsteht so ein mechanischer Druck, der insbesondere auf den sehr empfindlichen Hörnerv wirkt. Je nachdem wie groß der Tumor nach außen in Richtung Kleinhirnbrückenwinkel wächst, kann auch der Hirnstamm selbst unter Druck geraten
Einige typische Beschwerden sind:
Da die meisten Patienten bereits in jungen Jahren Vestibularisschwannome ausbilden wird die Tumorgröße häufig noch in der Pubertät zum Problem, da man oft in diesen Jahren einen „Wachstumsschub“ verzeichnet. Deshalb ist es essentiell, die Tumore und deren Effekt auf das Hörvermögen engmaschig über MRT-Bildgebungen und Hörbefunde zu kontrollieren. Je besser der Ausgangszustand der Hörbefunde ist desto besser ist das Ergebnis im Falle einer Therapie, somit sollte nicht zu lange abgewartet werden.
Entscheidend sind die AEP-Messungen, die bei jeder Ihrer Vorstellungen direkt durchgeführt und sekundär die Ton- und Sprachaudiometrien. Sollten die AEP-Messungen sich trotz subjektiv gutem Hörvermögen und guten Ton- und Sprachaudiometrien verschlechtern, deutet dies auf eine kritische Kompression hin, die bald eine Hörverschlechterung erwarten lässt. Idealerweise würde man zu diesem Zeitpunkt die operative Intervention empfehlen.
Wie schon erwähnt, ist das Ergebnis einer Operation je besser je ungestörter der Ausgangszustand war. Die NF2-assoziierten beidseitigen Vestibularisschwannome verhalten sich insgesamt anders als die nicht erblich bedingte einseitige Form, die meist im Erwachsenenalter auftreten. Nicht nur der Zeitpunkt des Auftretens (bei NF2 meist früher), sondern auch das Wachstumsverhalten und die Natur (Konsistenz) des Tumors sind anders. Eine funktionserhaltende vollständige Tumorentfernung ist bei der sporadischen Form aufgrund dieser Gegebenheiten in versierten Zentren möglich. Zudem ist von solchen Patienten ein einseitiger Hörverlust eher zu verkraften, als bei NF2 Patienten, deren Hörvermögen beidseitig bedroht ist. Deshalb ist das Ziel der Operationen bei NF2 Patienten nicht die vollständige Tumorentfernung (weil jeder Verschlechterung des Hörvermögens problematisch ist), sondern die Operation soll den vollständigen Hörverlust solange wie möglich hinauszuzögern und Zeit gewinnen. Das Wachstumsverhalten der Tumore wird dadurch nicht verändert.
Die anatomischen Gegebenheiten wurden bereits oben aufgeführt. Aufgrund der ungünstigen Lage der Tumore, insbesondere im inneren Gehörgang (internal auditory canal, kurz: IAC), mit den darin laufenden Strukturen (Hör- und Gleichgewichtsnerven und Gesichtsnerv) und unter Berücksichtigung des Ziels, den Hörverlust möglichst lange hinauszuzögern bzw., das Hören stabil zu halten ist das primäre Ziel die Strukturen im inneren Gehörgang zu entlasten.
Dies wird über eine sogenannte knöcherne Dekompression des inneren Gehörgangs durchgeführt. Hierbei wird die hintere Hälfte des inneren Gehörgangs aufgefräst und die darin liegenden Strukturen werden dadurch entlastet. Sofern die AEP-Messungen, die permanent während der Operation durchgeführt werden, es zulassen wird auch eine Tumorentfernung mit durchgeführt, wobei man sich hier auf Tumoranteile zwischen Gehörgang und Hirnstamm konzentriert.
Die Operation dauert inklusive der aufwändigen Planung (Anästhesie, Elektrophysiologie, Zugang, Lagerung, etc.) ca. 3-4 h und wird in liegender oder halbsitzender Lagerung je nach Tumorgröße durchgeführt. Die mittlere Verweildauer im Krankenhaus liegt bei ca. 5 bis 7 Tagen und in der Regel findet eine rasche Erholungsphase statt. Bei den jüngeren NF2-Patienten werden die Eingriffe meist in der Ferienphase geplant, sodass möglichst ein geringer Schulausfall erzielt werden kann.
Sollte es im weiteren Verlauf zu einem weiteren Wachstum kommen (was bei fast allen Patienten zu erwarten ist) und befindet sich der Patient zudem jenseits der Pubertät (abgeschlossene Wachstumsphase), kann eine Therapie im Off-label-Use mit dem Medikament Bevacizumab (Avastin®, Mvasi®, Zirabev®, Amgen®) durchgeführt werden, um das weitere Wachstum der Tumore zu bremsen und das Hören zu erhalten. Eine Bevacizumab-Therapie kann in besonderen Fällen (Kontraindikationen zur OP, dringender Patientenwunsch) auch primär vor einer operativen Entlastung erfolgen. Patienten, die auf eine Bevacizumab-Therapie nicht adäquat ansprechen können auch alternativ im individuellen Heilversuch mit Brigatinib, einem Tyrosinkinase-Inhibitor, der zur Behandlung von anaplastischem-Lymphomkinase (ALK)-positivem fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) eingesetzt wird, behandelt werden. Auch hier ist dann eine Langzeitapplikation notwendig.
Medikamentöse Therapieoptionen: Off-label-Use mit Bevacizumab und individueller Heil-versuch mit Brigatinib
Die medikamentöse Therapie wird primär nur für Vestibularischwannome angewendet. Hierbei steht überwiegend im Off-label-Use Bevacizumab zur Verfügung. Dieses hat aber auch positive Effekte auf die „Wasserausschwitzung“ im Rückenmark bei Ependymomen, insbesondere spricht die begleitende Tumorzyste (sogenannte Syrinx) gut darauf an. Es wirkt jedoch nicht auf begleitende Meningeome. Neuerdings steht uns als Alternative bei Patienten, die nicht ausreichend auf eine Therapie mit Bevacizumab ansprechen, der Antikörper Brigatinib im individuellen Heilversuch zur Verfügung. Eine Studie ist hier bereits bei den amerikanischen Kollegen laufend und erste Resultate werden 2023 erwartet.
Die systemische Therapie wird primär vom heimatnahen Onkologen intravenös in entsprechenden Abständen verabreicht, überwacht und primär gesteuert. Hier erfolgt auch ein ausführliches Aufklärungsgespräch über Risiken und Nebenwirkungen zu Beginn der Therapie. Die Therapie muss zudem beim Kostenträger initial beantragt und im weiteren Verlauf verlängert werden. In genau terminierten Zeitabständen erfolgen unter der onkologischen Therapie die Verlaufskontrollen mittels MRT-Bildgebung und Hörbefunden. Bei Patienten mit Hörimplantaten erfolgen die MRT-Kontrollen meist in Tübingen. Alle anderen Patienten können diese heimatnah durchführen.
Strahlentherapie: Radiochirurgie und Radiotherapie
Nur in seltenen Fällen stellt die gezielte, sogenannte stereotaktische Bestrahlung eine vertretbare Therapieoption dar, um bei NF2 Patienten Vestibularisschwannome zu therapieren. Dies ist aus mehreren Gründen der Fall. Unter anderen sind die Tumorkontrollraten geringer als bei „normalen“ Vestibularisschwannomen, es existiert bei NF ein erhöhtes Risiko für eine Umwandlung in bösartige Tumore und vor allem hat die Bestrahlung ein Ertaubungsrisiko von 20 %, sowie das Risiko einer teilweisen Hörverschlechterung. All diese Dinge sind in Bezug auf das Ziel des Hörerhalts kontraproduktive Effekte.
Behandlung von funktioneller Ertaubung und ertaubten Patienten
Trotz jeglicher therapeutischen Bemühungen ist eine hochgradige Schwerhörigkeit oder Ertaubung über die gesamte Lebenszeit in vielen Fällen nicht vermeidbar. Im Falle einer moderaten Höreinschränkung können nicht invasive Maßnahmen wie z. B. Hörgeräte eine Besserung erbringen. Für hochgradig schwerhörige oder taube Patienten besteht die Möglichkeit einer invasiven Implantatversorgung mittels Cochlea- (CI) oder Hirnstammimplantat (auditory brainstem implant kurz ABI). Hier erfolgt eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem HörZentrum der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO). Dort erhalten Sie auch detaillierte Informationen.
Die Implantation eines Cochlea-Implantats erfolgt in der hiesigen HNO Klinik. Die Versorgung mit einem Hirnstammimplantat erfolgt interdisziplinär mit den Kollegen der HNO im neurochirurgischen Operationssaal. Diese ist in fast allen Fällen mit einer weitestgehend vollständigen Tumorentfernung verknüpft. Anschließend erfolgen mehrere Rehabilitationsmaßnahmen um den Umgang mit dem Implantat zu erlernen und die Einstellungen optimal an den Patienten anzupassen. Damit kann die Lebensqualität und die soziale und berufliche Teilhabe deutlich verbessert werden. Einen Eindruck gibt folgendes Video.
Schwannome können nicht nur an den Gleichgewichtsnerven auftreten, sondern auch von anderen Hirnnerven ausgehen. Je nach betroffenem Nerv und Lokalisation können diese Tumore entsprechende Ausfälle verursachen.
Solange keine Beschwerden vorliegen, die Größe des Tumors nicht problematisch ist, und keine umliegenden Strukturen gefährdet sind können diese Tumore meist beobachtet werden.
Anderenfalls empfehlen wir die operative Entfernung. Alle Eingriffe im Bereich der Hirnnerven werden alle unter kontinuierlichem elektrophysiologischen Monitoring durchgeführt um bleibende Schäden zu vermeiden.
Meningeome sind Tumore, die von der Hülle des Gehirns- und Rückenmarks ausgehen. Meist handelt es sich um gutartige Tumore, die im Rahmen der NF2 gehäuft und multiple auftreten. Je nach Lokalisation und Größe (Kopf, Wirbelsäule) kommt es zu entsprechenden Beschwerden. Meningeome werde dann operativ entfernt, wenn sie eine wichtige Funktion bedrohen (z. B. den Sehnerven/das Sehvermögen) oder kritisch groß geworden sind und zu starken Druck auf Großhirn, Kleinhirn oder Hirnstamm ausüben. In manchen kaum zugänglichen Lokalisationen an der Schädelbasis (z.B. der sogenannte Sinus cavernosus) können auch kleine Meningeome starke Beschwerden wie Doppelbilder auslösen. Dann ist ggf. anders als bei Vestibularisschwannomen, eine chirurgische Zielbestrahlung die Behandlungsmöglichkeit der Wahl.
Bei schwer betroffenen Patienten können Meningeome an sehr vielen Stellen gleichzeitig auftreten und sind dann mit einer Operation nicht mehr zu heilen. Die sogenannte „Meningeomatose“ ist ein schwerwiegendes Problem, da bislang keine wirksame Chemotherapie existiert und auch eine Bestrahlung des ganzen Kopfes unmöglich ist. Durch die vielen Meningeome kann ggf. der Blutabfluss aus dem Kopf kritisch vermindert werden, weil die „Blutabflusssysteme“ von den Tumoren verschlossen werden.
Ependymome sind ebenfalls gutartige Tumore des Rückenmarks und treten meist an mehreren Stellen auf. In den meisten Fällen verursachen die Ependymome wenig bis keine Beschwerden, wachsen gar nicht oder sehr langsam und werden beobachtet. Bei kritischer Größe kann es zu Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen der Arme und/oder Beine, Blasen-/Mastdarm- oder Erektionsstörungen, Gangunsicherheit und Gleichgewichtsstörungen kommen. Dann können diese Tumore in der Regel gut operativ entfernt werden mit Chance auf Verbesserung der Funktion. Bei diesen Operationen kommt der Funktionsüberwachung des Rückenmarkes mit der sogenannten Elektrophysiologie wieder eine zentrale Bedeutung zu.