Sektionen

Spastikbehandlung

Kommt es im Rahmen von Frühgeburtlichkeit oder durch Sauerstoffmangel zu einer Hirnschädigung um den Zeitpunkt der Geburt oder auch bei erblich bedingten Erkrankungen zu einer sog. Spastik (zunehmende Spannung und Verkrampfung der Muskulatur), so ist ggf. im Rahmen eines Gesamtkonzeptes bei diesen Kindern auch eine operative Behandlungsmöglichkeit gegeben.

Für die Krankheitsbilder der Cerebralparese und der Spastik existiert iim Sozialpädiatrischen Zentrum der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin ein Schwerpunkt inklusive einer Schwerpunktambulanz mit einem multidisziplinäres Team aus Kinderneurologen, Physiotherapeuten, Sozialmedizinern und Rehabilitation.

Bei gut selektionierten Patienten können operative Verfahren nach entsprechender Vorbehandlung mit weniger invasiven Verfahren (Physiotherapie, Gerätetraining,Hilfsmittel, Botulinumtoxin-Injektion) zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr hilfreich sein.

Selektiv-dorsalen Rhizotomie

Bei der sog. selektiv-dorsalen Rhizotomie wird der die Muskelverkrampfung (Spastik) unterhaltende „Reflexbogen“ im Bereich von Nervenwurzeln der Lendenwirbelsäule gezielt unterbrochen. In Frage kommen hierfür Kinder, die neben ihrer Muskelverkrampfung noch genügend Kraft und nicht zu viel Schwäche in den Beinen haben, um von der Operation in dem Sinne zu profitieren, dass die Spastik dauerhaft gelindert wird und trotzdem kein funktioneller Verlust, sondern eine Verbesserung bzw. Erhalt der Funktion auftritt. Letzteres kann dann erreicht werden ohne die Notwendigkeit dauerhafter Botulinumtoxin-Injektionen oder Physiotherapie in bisheriger Intensität. Durch den Eingriff kann jedoch nicht ein Sprung in die nächst höher gelegene Funktionsklasse, also eine grundsätzlich mildere Ausprägung der Erkrankung, erreicht werden.

Die Pädiatrische Neurochirurgie besitzt die notwendige Expertise zur Durchführung der Operation unter intraoperativer Überwachung der Nervenfunktion und der Identifizierung der zu durchtrennenden Nervenanteile. Die Betreuung und Selektion der Kinder erfolgt im Wesentlichen durch die hochspezialisierten Kollegen der Klinik für Neuropädiatrie und die Operation in enger Kooperation, da insgesamt gilt, dass die richtige Auswahl der Patienten den Erfolg der Operation im Wesentlichen bestimmt.

Aus Tübinger Sicht sollte die Indikation zur selektiv dorsalen Rhizotomie überprüft werden, bevor orthopädische Eingriffe an Muskulatur und Sehnen erfolgen. Bei richtig selektionierten Patienten kann durch die selektiv dorsale Rhizotomie die Häufigkeit von Eingriffen an Muskeln und Sehnen (die ja das nachgeschaltete Organ sind) verringert bzw. zeitlich nach hinten hinausgeschoben werden.

Kinder, die für das Verfahren möglicherweise in Frage kommen, sollten in der Botulinumtoxin-Sprechstunde des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin vorgestellt werden.

Baclofen-Pumpe

Bei Kindern mit schwerer Spastik, insbesondere wenn Arme und Beine gleichermaßen schwer betroffen sind (sogenannte Tetraspastik) und die nicht in der Lage sind, mit Hilfsmitteln zu gehen oder zu stehen, kommt ggf. die Linderung der Spastik durch Medikamente in Frage, die ins Nervenwasser selbst eingebracht werden müssen. Die Gabe der Medikamente über die Blutbahn bzw. als Tablette ist in ihrer Effektivität begrenzt, da das Medikament schwer aus dem Blut zum Gehirn bzw. Rückenmark vordringen kann und deshalb die Nebenwirkungen meist viel zu schwerwiegend sind, bevor der gewünschte Effekt auf die Spastik erreicht werden kann.

In diesen Fällen wird durch die pädiatrische Neurochirurgie zunächst ein Katheter im „Rückenmarkschlauch“ in Höhe der Lendenwirbelsäule angelegt und im Hirnwasserraum, der das Rückenmark umgibt, nach oben in die untere Halswirbelsäule vorgeschoben. Über diesen wird durch die Neuropädiatrie im Verlauf einer Woche eine Testung der Medikamenteneffekte und der notwendigen Dosierungen und Nebenwirkungen durchgeführt. Ist das erzielte Ergebnis für Patienten, Eltern und Ärzte zufriedenstellend, wird der Katheter entfernt. Ca. 4 bis 6 Wochen später kann dann eine dauerhafte Implantation eines Katheters im Rückenmarkskanal erfolgen, der mit einer Medikamentenpumpe verbunden wird, die in der Bauchdecke implantiert wird. Darüber kann das Medikament in der gewünschten Dosierung dauerhaft appliziert werden. Die Pumpe kann von außen sowohl in ihrer Laufrate verstellt als auch über eine Punktion durch die Haut wieder aufgefüllt werden.

Kinder, die möglicherweise für diese Verfahren in Frage kommen, werden ebenfalls in der Botulinumtoxin-Sprechstunde des Sozialpädiatrischen Zentrums der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin untersucht und beurteilt.